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Der bel´uomo für den belcanto
Bettina von Pfeil, DENKmal, 26 February 2002

Ja, er ist schön. 29 Jahre jung, dunkle, volle Locken, braunsamtene Augen unter schweren Lidern, und, natürlich, überlangen gebogenen, schwarzen Wimpern. Ein ebenmäßiges Jünglingsgesicht klassischen Schnitts. In ihm begegnet uns die Inkarnation der griechischen Jünglingsstatue (im Designer-Outfit) - oder der Coverboy eines Hochglanzmagazins für Herrenmoden. Vielleicht, und wie leicht würde man dem jungen Mann sein blendendes Äußeres in gewissen intellektuellen Kreisen zum Vorwurf machen können, wäre seine Profession nicht der Belcanto. Wäre Juan Diego Florez nicht der neue Star am Himmel der Tenöre di grazia, und zu denen gehört das Schmachten, die Inbrunst, die lyrische Sanftmut. Welches Gesicht könnte da perfekter sein? Schön schön also! - Und unter Marketing-Gesichtspunkten natürlich ein Idealfall.

Der Ersatzmann

Die Stimme aber hat das Marketing verdient. Seit den ersten, furiosen Auftritten des neuen Tenorstars überschlägt sich die Fachpresse in Laudationen. Dabei ist der Karrierestart eher Zufälligkeiten zu verdanken, nämlich der Erkrankung von Kollegen. Er weilt als Sänger in einer kleinen Nebenrolle beim Rossini-Festival in Pesaro, als dort der Tenor für Rossinis Matilde di Shabran" erkrankt. Man denkt an ihn. Er singt vor. Er hat nur zwei Wochen Zeit, die Partie einzustudieren und zu proben. Ein Ritt über den Bodensee, bei dessen Zieleinlauf der damals 23-Jährige als spektakuläre Neuentdeckung gefeiert wird.

"Nach dem Festival hatte ich dann auf einmal eine Unzahl von Verträgen, weil so viele Intendanten die Vorstellung gesehen hatten."

Um nicht zu sagen, nach diesem Debüt gilt er direkt für die folgenden zwei Jahre als ausgebucht!
Während andere Sänger Wochen und Monate Vorbereitungszeit für eine Rolle benötigen, scheint er gerade unter Druck und in Krisensituationen zur Hochform aufzulaufen. Das zeigt er auch bei seinem Debüt an Covent Garden. Zur Welterstaufführung der konzertanten Version von Donizettis Elisabetta wird er als Ersatz für einen erkrankten Kollegen gerufen. Ab ins Flugzeug und Studium der Partien über den Wolken.

"Ich besitze in diesen Momenten, wenn kaum Zeit zur Verfügung steht, die Gabe, in wenigen Tagen für etwas bereit zu sein. Ich verändere mich da plötzlich und nehme die Herausforderung an."

Der Junge

Der Junge erblickt 1973 in Lima, der Hauptstadt Perus, das Licht der Welt, als Sohn eines professionelles Sängers der populären Musik der peruanischen Küste. Die Gitarre wird zum ständigen Begleiter seiner Kindheit-, und diese eigentümliche Mischung aus spanischem Lied und Tanz mit der Musik der schwarzen Sklaven. Diesen musikalischen Spuren folgt auch der Junge. Singt halbwüchsig in Cafés und Pianobars und bringt es damit sogar zu TV-Auftritten.

Noch als 17Jähriger ist Juan Diego Florez unsicher, ob er sich die klassische oder populäre Musik auf seine Fahne schreiben soll.
Doch dann beginnt er mit dem Gesangsstudium in Lima- und macht sich auf zu einer Vorsingreise an amerikanischen Musikcolleges, für deren Finanzierung das Auto der Mutter verkauft werden muss. Die Investition lohnt sich. Er gewinnt ein Stipendium für ein dreijähriges Studium in Philadelphia, das er 1996 abschließt. Im selben Jahr wird er debutieren, bei besagtem Rossini-Festival.

Die Stimme

Er ist keiner von den donnernden Spinto-Tenören. Die ganz große Stimme hat er nicht, mit der etwa die berühmten Drei mit dem dramatischen, kraftvollen Schmelz Puccinis und Verdis ganze Stadien füllen. Aber er besitzt etwas anderes: die feine, weiche Raffinesse einer ausgebildeten Stimme, die den ausgeklügelten Kapriolen Rossinischen Belcantos in müheloser Präzision nachzufolgen vermag. Sanftes Vibrato, Koloraturen, die mit Verstand gesetzt werden, die Agilität, die Leichtigkeit in den Höhen. Nicht Verdi, nicht Puccini, sein Meister heißt Rossini. So belebt er einen Sängertypus neu, der, dem Zeitgeschmack folgend, beinahe auszusterben drohte: den lyrischen Tenore di Grazia.

Er selbst unterscheidet in nordische und mediterrane Stimmen: Die nordamerikanische, oder nordeuropäische mehr mit Kopfresonanz, die südamerikanische oder mediterrane mehr aus dem Körper. Deshalb gehöre auch Mozart nicht zu seinem bevorzugtem Repertoire, den Ferrando in Cosi fan tutte ausgenommen, der "ist mehr italienisch". Sanftstimmig also, aber dennoch resolut und selbstbewusst. Zum Büttel des Regietheaters lässt er sich, trotz seiner Jugend, nicht machen.

"Oper ist weder Dirigent, noch Regie, Oper hat mit Stimmen zu tun!"

Der Star

Die Regisseure, die in aufwendigen zweimonatigen Probezeiten jeden Schritt à point trainieren, sind ihm zuwider. Im Vordergrund steht für ihn der Gesang, nicht der Regieeinfall. Es ist klar, wer der wahre Star der Opernbühne zu sein hat:

"Ich habe in Wien meinen ersten Barbiere ohne Proben gesungen, und es ist mein bester Barbiere geworden, den ich je gesungen habe. Ich habe improvisiert, es war erfrischend. Ich habe zwar nicht genau gewusst, wo ich hingehen muss, aber es wurde wunderbar." Und die Fachpresse bestätigt ihn.

Zur Somnambula schrieb Manuel Brug in der WELT, dem jungen Tenor das Potential zur Kultfigur bescheinigend:

"Mag sich Arturo Marelli abrackern, aus dem dummen Stück über die fatalen Schlafwandeleien einer Schweizer Bauerndirn noch dümmeres Regietheater zu verfertigen, bei dem die Protagonistin über Kunstschneeberg und Klavierdeckelgrat wandern muss. Er kann den überwältigend zarten Sieg des peruanischen Tenors nicht beeinträchtigen. Von eher keusch verträumter, ja weicher Darstellungskraft packt da eine Stimme mit ihrem Timbre, ihrer Technik, ihrer verhaltenen Individualität...Die feine Lasur dieses fabelhaften tenore di grazia, die Träne, die wissende Gestaltung, das prägt sich ein, das ragt heraus."

Er singt an berühmten Bühnen: der Mailänder Scala, dem Teatro Comunale in Florenz, dem Royal Opera House, an Covent Garden. Im Januar 2002 feierte er an der Met in New York, wieder mit Rossini, sein triumphales Debüt in Amerika. Und auch mit Preisen kann Juan Diego Florez bereits aufwarten: 1999 Premio Abbiati della Critica, der italienischen Fachpresse und 2001 Rossini d´Oro in Pesaro. Sein Debut-Soloalbum wird am 22. März 2002 bei Decca erscheinen, und sich, natürlich, den Arien Rossinis widmen.
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This page was last updated on: July 27, 2002