INTERVIEW: DIE CHROMATISCHE SKALA DER GEFÜHLE Gabor Halasz, Opernwelt, November 2001 Giuseppe Sabbatini über die Krise des Verdi-Gesangs, die Gefahren des Verismo-Stils und seine Zukunft als Dirigent Herr Sabbatini, zurzeit wird überall viel Verdi gespielt - und noch mehr darüber geklagt, dass sich für seine Opern kaum adäquate Besetzungen finden lassen. Ist das auch Ihre Meinung? Würden auch Sie von einer Krise des Verdi-Gesangs oder überhaupt einer Sängerkrise sprechen? Was die Männerstimmen betrifft auf jeden Fall. Die bedeutenden Künstler vorangegangener Generationen waren den Sängern der Gegenwart überlegen. Tondokumente (auch technisch mangelhafte) belegen das eindeutig. Der Grund dafür ist in der Ausbildung zu suchen, die früher offenbar umfassender war als heute. Dabei handelt es sich auch um eine soziale Frage. Wer heute etwas Stimme hat, wird sofort im großen Stil lanciert, ihm winken die schnelle Karriere und das große Geld. Zu einem gründlichen Studium fehlt die Geduld. Bei den Frauen stellt sich dagegen die Situation anders dar. Dort ist die Konkurrenz härter, sind deshalb die Anforderungen höher - mit der Folge, dass die angehenden Künstlerinnen sich in der Regel einem strengeren Studium unterziehen als ihre männlichen Kollegen. Ich meine, dass das Niveau bei den Sängerinnen heute im Allgemeinen sogar höher ist, als es früher war. Bei allem Respekt für die Sängerinnen: Glauben Sie nicht trotzdem, dass unsere schnelllebige Zeit mit ihren mannigfaltigen Impulsen und ablenkenden Angeboten nicht unbedingt günstig ist für künstlerische Entwicklungen? Der kürzlich verstorbene Dirigent Giuseppe Sinopoli sagte, er hätte kein Jahrhundert gekannt, in dem die Kreativität so auf der Stelle getreten wäre wie heute. Heutzutage verbindet der Computer die ganze Welt. Keine Frage. Er tut es aber nicht auf der Ebene der menschlichen Gefühle und Beziehungen. Diese allerdings bilden die Grundvoraussetzungen der Musik. Sollte sich die brutalste und kapitalistischste Form der Globalisierung durchsetzen und sich keine befreiende Alternative abzeichnen, dann würde ich tatsächlich schwarz sehen für die Zukunft der Künste. Ich bin gegen jede Tendenz zur Uniformierung, gegen die Dominanz der Grautöne in unserem Alltag und vermisse heute die Vielfalt, die chromatische Skala der Gefühle mit ihrem ganzen Nuancenreichtum. Man will uns verordnen, sozusagen in einem Einheits-Mezzoforte zu leben. Dazu bin ich aber nicht bereit. Immerhin besteht auch Hoffnung. So hat etwa die musikalische Entwicklung die Folgen der Zwölfton-Technik und des zum Dogma erhobenen Serialismus mittlerweile überwunden. Ein Gleichgewicht scheint sich wieder einzustellen. Was übrigens auch im Bereich der Opernregie zu wünschen wäre. Lehnen Sie eigenwillige, die Vorlage konsequent hinterfragende Auslegungen der Repertoire-Klassiker grundsätzlich ab? Jedem steht frei, ein Stück seiner Mentalität, seinem Empfinden und seiner Bildung entsprechend zu interpretieren. Aber die szenischen Chiffren bedürfen plausibler Erklärungen. Weshalb zum Beispiel muss eine Vitellia im «Titus» während ihrer Arie reitlings über dem Orchestergraben sitzend eine Feige verzehren und dabei ihre Schuhe ausziehen? Genau so habe ich nämlich diese Szene einmal in Salzburg gesehen. Abgesehen von allem sind solche Lösungen inzwischen nicht einmal neu. Werden doch seit wenigstens einem Vierteljahrhundert ständig die immer gleichen (oder zum Verwechseln ähnlichen) Gags strapaziert. Es mangelt an wirklich neuen Ideen in der Kunst, die sich von der Technik, dem Sport und der Politik überholen lässt. Andererseits sollte zur Regie auch Respekt vor dem Werk gehören. Auch dann blieben noch genügend Chancen zur individuellen Deutung eines Stückes - allerdings nicht gegen den Text und die Musik. In diesem Punkt bin ich Traditionalist. Kommen wir zurück zu Ihren Vorbehalten gegenüber der Zwölfton-Komposition und der zweiten Wiener Schule. Würden Sie bei einem entsprechenden Angebot die Partie des Alwa oder des Malers in der «Lulu» oder des Andres im «Wozzeck» übernehmen? Darüber müsste ich lange nachdenken. Bisher bin ich nur in einer modernen Oper, Dallapiccolas «Gefangenem», aufgetreten. Mit der Musik des 20. Jahrhunderts habe ich, offen gesagt, meine Schwierigkeiten. Auf jeden Fall bevorzuge ich da Strauss und Strawinsky - oder Mahlers «Lied von der Erde», das ich auf jeden Fall singen möchte. Janác&Mac255;ek könnte ebenfalls interessant sein. Und wenn wir schon beim slawischen Repertoire sind, eine andere Rolle - mit der Moderne hat sie natürlich nichts zu tun -, in der ich mich in jeder Beziehung sehr wohl fühle, ist der Lenski im «Onegin», selbst wenn ich sie russisch singen muss. Apropos Russisch: Rachmaninows Lieder sind wunderbar - wahre, den Liedern von Strauss vergleichbare Meisterwerke. «Streng genommen beruht der veristische Gesangsstil, wie er lange gepflegt wurde - und zum Teil noch wird - auf einem Missverständnis der veristischen Komposition.» Wo sehen Sie die Schwerpunkte Ihres Repertoires? Auf dem Gebiet der Belcanto- und der französischen Oper. Letztere freilich muss möglichst frei von den Verzerrungen des veristischen Vortragsstils aufgeführt werden. Die berühmten Interpretationen aus der Zeit zwischen 1930 und 1960 - stilistisch allesamt dem Verismo verpflichtet - haben den Geschmack des Publikums verdorben. Denn beim gesamten vorveristischen Repertoire ist die veristische Manier fehl am Platz. Auch bei Verdi? Mit absoluter Sicherheit. In der Aufführungspraxis der Oper lässt sich der Verismo - salopp gesagt - mit dem Rock 'n' Roll in der populären Musik vergleichen. Er zerstört das Gespür für Melodie und Phrasierung. Vielen meiner Kollegen fehlt einfach die Palette der Farben und Zwischentöne; sie singen ein Einheitsforte. Nebenbei bemerkt, bei aufmerksamer Lektüre der veristischen Partituren wird auffallen, dass dort «p» als dynamische Bezeichnung häufiger vorkommt als «f». Streng genommen beruht der veristische Gesangsstil, wie er lange gepflegt wurde - und zum Teil noch wird - auf einem Missverständnis der veristischen Komposition. Demnach wollen Sie sich mit Nachdruck für mehr Differenzierung und einen authentischen Stil einsetzen ? Ja, solange ich noch singe. Im Jahr 2007 werde ich nämlich meine Sängerlaufbahn beenden. Mit 50 Jahren gedenke ich dann eine zweite Karriere als Dirigent zu beginnen. Eigentlich wollte ich immer dirigieren. Meine Tätigkeit als Sänger betrachte ich genau genommen als Vorstufe zum Dirigieren. Während meiner Zeit als Orchestermusiker gab ich mein Kompositionsstudium am römischen «Santa Cecilia»-Konservatorium auf - an dem ich aufgenommen worden war nach Erfahrungen im Kinderchor und als E-Bass-Spieler und Gesangssolist einer Rockgruppe. Damals dachte ich, in Italien würde niemand einem Kontrabassisten, der über keine finanziellen Mittel verfügt und mit keinerlei politischer Unterstützung rechnen kann, eine Chance zum Dirigieren geben. Mit der Stimme wollte ich meine interprtatorischen Fähigkeiten demonstrieren und mir einen Namen machen. Wie dem auch sei, am 12. September 2007, dem 20. Jahrestag meines Debüts, werde ich mein Abschiedskonzert geben. Wo soll es stattfinden? Das steht noch nicht fest, bis dahin ist noch Zeit. Die Scala zum Beispiel wäre mir sehr genehm als Konzertort. Auf jeden Fall werde ich aber - im Gegensatz zu einigen Kollegen - die sängerischen und die dirigentischen Aktivitäten nicht parallel ausüben. Eine eindeutige Zäsur soll die beiden Karrieren voneinander trennen. ................... Ein Belcantist im authentischen Sinne dieses Begriffs, ein eleganter Stilist, dessen Phrasierungskünste, raffinierte Farbgebung und ausgeprägte Fähigkeit zum Differenzieren außergewöhnlich hohe interpretatorische Ansprüche signalisieren: Giuseppe Sabbatini zählt heute fraglos zu den künstlerisch profiliertesten Vertretern des lyrischen Tenorrepertoires romanischer Provenienz - mit Öffnung zum Spinto-Fach. Das Programmangebot des heute in Monte Carlo lebenden gebürtigen Römers, der - nach Wettbewerbserfolgen - 1987 als Edgar in der «Lucia di Lammermoor» in Spoleto debütiert hat, spannt einen Bogen von Mozart über Belcanto-Oper und (vom Stimmtypus her) leichteren Verdi-Rollen («Rigoletto», «La traviata», «Jérusalem», «Falstaff»), über französische Opéra und Drame lyrique, Puccini und Tschaikowskys Lenski bis zu Oratorium und Liedgesang. Sabbatinis musikalische Kompetenz und Kultur erklären sich durch seinen Background. Der Tenor war zuerst Kontrabassist - im römischen Radio-Sinfonieorchester und an der Arena von Verona (dort erster Solokontrabassist) -, und neben seiner Instrumental- und Gesangsausbildung studierte er Harmonielehre und Kontrapunkt (mit dem Singen begann er im Alter von acht Jahren als Chorknabe im «Puer Cantor», der Talentschmiede der Sixtinischen Kapelle). |
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