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REVIEW Rigoletto, Semperoper, Dresden, June 2008 |
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Juan Diego Flórez and Diana Damrau Rigoletto, Dresden, June 2008 |
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Höllenfahrt in Seelennot Jügen Kesting, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22 June 2008 Jubelnder Beifall für die glanzvolle Besetzung und Nikolaus Lehnhoffs herausragende "Rigoletto"- Inszenierung in der Dresdner Semperoper. Während die Trompeten und die Posaunen das düstere Moll-Motiv intonieren, nach dem die Oper benannt werden sollte - "La maledizione" -, klettert ein Mann aus dem Kasten des Souffleurs. Er stülpt ein grünes Gewand über seine Alltagskleidung, beginnt sich zu schminken und setzt das Insigne seiner Arbeit auf: die Narrenkappe. Es ist eine rohe, widerwärtige Arbeit, die der Protagonist in Nikolaus Lehnhoffs glanzvoll besetzter Dresdner Inszenierung von Giuseppe Verdis "Rigoletto" unter der fesselnden musikalischen Leitung von Fabio Luisi zu leisten hat. In den Bühnenbildern von Raimund Bauer erscheint der Hof des Duca di Mantova als eine kalt-bedrohliche, schwarze Lusthölle, in der laszive Frauen sich exhibitionieren, der Herzog das Lied der Leichtfertigkeit anstimmt und Rigoletto seine zynische Zunge in den Dienst der Gemeinheit stellt, bevor er, vom Fluch eines seiner Opfer getroffen, wenig später erkennt, dass er dem "ladro", dem Banditen, gleicht, der ihm seine Dienste mit dem Dolch anbietet. Aus der Folterkammer seines Berufs kehrt er zurück in das private Gefängnis, in dem er seine Tochter gefangen hält. Ihr Zimmer ist ein Gegenbild zur makaber-morbiden Kerkerwelt des Hofes: ein lichtes Luftschloss, hermetisch abgeschlossen von der Außenwelt und allen Zeugnissen persönlicher Geschichte. In diesem Käfig wird Gilda vom Herzog besucht, aus ihm von den Höflingen, die in ihr die Geliebte des Narren vermuten, in den Palast entführt und dem Herzog ausgeliefert. Wie sie, nach der großen Invektive des Narren und dessen verzweifeltem Flehen, aus dem Zimmer des Herzogs stürzt und im blutbefleckten weißen Kleid deflorationsstigmatisiert über die Geschichte des Liebesverrats berichtet ("Tutte le feste al tempio"), ist von erschütternder Eindringlichkeit, so wie die Rache-Raserei des aus seiner Rolle ausbrechenden Narren ("Sì, vendetta") erschauern macht wie ein Weltenfluch. Nach den ersten drei - dramaturgisch ungemein plausibel - ohne Pause gespielten Bildern folgt das vierte als eine Szene aus dem Gran Guignol. Inmitten eines nebligen Schauerorts steht eine stilisierte Kaschemme, ein Rotlichthaus, in dem Gilda Zeugin wird, dass ihr immer noch geliebter Vergewaltiger mit Maddalena anbandelt. Überraschend die Personenführung des Quintetts, wenn der Herzog plötzlich die Kurtisane aus dem Blick verliert und sich der schattenhaft sichtbaren Gilda zuwendet, vielleicht gedacht als Chiffre für die Hemmungslosigkeit und Gier des Erotomanen. Die Gewitterszene mit dem beklemmenden chorischen Summen - ein Klang-Bild für die Seelenstürme, die in Gilda und in Rigoletto toben - wird als Höllenfahrt inszeniert: mit am Himmel aufleuchtenden und in den Abgrund stürzenden Figuren, wie sie auf dramatischen Renaissance-Gemälden zu sehen sind. Regissuer Lehnhoff, Bühnenbildner Raimund Bauer und die Kostümbildnerin Bettina Walter schaffen einen beklemmenden, phantastischen und symbolistischen Rahmen für eine präzis dargestellte realistische Handlung, die dem Text minutiös folgt. Durch das erste Bild geistern makabre Tierwesen, Leguane und Fischmäuler, die von den Bildern Max Ernsts inspiriert scheinen. Unverkennbar sind auch Anspielungen auf Stanley Kubricks "Eyes Wide Shut". Musikalisch war der Abend der beste Beweis dafür, dass die Bühne dem Darsteller, dem Sänger gehört. Für den Herzog hatte sich die Dresdner Oper des peruanischen Weltstars Juan Diego Flórez versichert. Sein Herzog ist ein bedenkenloser, durch Macht und Geld verdorbener Jüngling, grazil von Statur und Stimme. Flórez gehört nicht zu den resonanten Orgelpfeifen, doch ist sein silbriger, konzentrierter Ton eminent durchschlagskräftig; auch im Piano tragfähig und klangschön. Bemerkenswert seine Fähigkeit, selbst rasche Achtel-Passagen prägnant zu artikulieren und Verzierungen kalligraphisch zu ziselieren. Brilliant die hohe Lage:die aufs hohe B führende Zielphrase im Duett mit Gilda ("È il sol dell'anima"), das eingelegte hohe Des am Ende des "Addio"-Duetts oder das ebenfalls als Puntatura gebotene hohe D nach der Cabaletta "Possente amor". Das Publikum, mit Stimmen vom Typ des "tenore di grazia" womöglich nicht mehr vertraut, steigerte die Dynamik des Beifalls für die anmutige, im dritten Bild als Leidensfrau und im vierten als Marienfigur in Szene gesetzte Diana Damrau, die sich nach der gut gesungenen melodia staccata von "Caro nome" (minutenlanger Beifall) im zweiten Duett mit dem Vater ("Tutte le feste") mit blühenden und zugleich wehen Tönen überbot. In grandioser Manier konnte Zeljko Lucic beweisen, das Rigoletto die glorioseste Partie für einen lyrisch-dramatischen Bariton ist. Der gebürtige Jugoslawe, lange in Frankfurt tätig, inzwischen von der Met umworben, besitzt einen klangreichen, modulationsfähigen Bariton mit bemerkenswerter Expansionsfähigkeit, die es ihm erlaubt, in der Invektive "Cortiggiani" ein hohes G und im Finale ("Ah! la maledizione") selbst ein As einzulegen. Rühmlich sein Bemühen, seine Stimme nicht nur "con tutta forza" einzusetzen wie in dem mit elementarer Wucht und Wut gesungenen Duett "Sì, vendetta", sondern in Espressivo-Phrasen auch behutsam zu tönen. Eine überragende Gesangsdarstellung. Im Ensemble überzeugten der Bass Georg Zeppenfeld in der Rolle des Sparafucile: mit süß-giftiger Tongebung bei "Sparafucil' mi nomino" und profunder Tiefe; der den Fluch sonor donnernde Markus Marquardt als Monterone und Matthias Henneberg als Marullo. Für den Glanz eines großen Verdi-Abends sorgte schließlich die Sächsische Staatskapelle unter Fabio Luisi. Superb die Transparenz des Streicher-Klangs, das Brio in den dramatischen Szenen, die Feinarbeit der Solo-Violine und die sublimen Figurationen der Holzbläser vor und in "Caro nome". Ohne nachgiebig zu sein, gibt Luisi den Sängern die Zeit für atmende Phrasierung, und er unterwirft sich auch nicht dem fetischistischen Gesetz jener Notentreue, die sich für Werktreue hält. Er erlaubt den Sänger, Ich zu sagen. Jubelnden Beifall für eine szenisch spannende und gesanglich herausragende Verdi-Aufführung. |