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Juan Diego Flórez: "Singen ist Muskelarbeit"
Remy Franck, Pizzicato, February 2002

In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren wurden mehr neue 'große Tenöre'
angekündigt, als die Welt je gekannt hat. Versprechungen, die nicht
eingehalten wurden, Voraussagen, die nicht zutrafen, Stimmen die
schneller verbraten wurde als die Currywurst vor der Met oder die
Kastanien vor der Bastille. Es ist gefährlich geworden, Tenöre
anzupreisen, und dennoch sind sich alle einig, dass er einer der größten
ist, ein würdiger Nachfolger eines Bonci oder eines Alfredo Kraus: Juan
Diego Flórez, ein junger, leichter Tenor, der auf schnellstem und
kürzestem Weg ein Star geworden ist.

Vor einigen Wochen sang er in Brüssel. Mozart, Rossini, Donizetti, ein
Volkslied aus seiner Heimat Peru. Der Saal lag ihm zu Füßen. Unglaublich
die Leichtigkeit, mit der er seine Stimme in höchster Agilität führt,
phänomenal die Fokussierung des Klangs, den er so zu verdichten weiß,
dass er in größter dynamischer Bandbreite auch leise Töne in die
hinterste Ecke des Saales projizieren kann, umwerfend die Kraft der
strahlenden hohen Töne. Kein Zweifel, hier haben wir es mit einer Stimme
zu tun, die uns noch herrliche Zeiten in der Oper besorgen wird.

Ich traf Flórez am Tag darauf in seiner Hotelsuite in einem Brüsseler
Nobelhotel.

Wir reden englisch, sein Französisch ist so schwach wie mein Spanisch
und mein Italienisch.

Flórez sieht mich mit großen fragenden Augen an. Fast erwartungsvoll.
Dabei weiß er die Neuigkeit noch gar nicht. Doch davon später.

Er sei jetzt ein Star, sage ich, mit 28 Jahren auf fünf Jahre hinaus
vollständig ausgebucht und das nur an den führenden Häusern der Welt,
mit den bekanntesten seiner Kollegen und unter den namhaftesten
Dirigenten. Bislang eine Bilderbuch-Karriere. Eine verdiente.

Was das für ihn bedeute, so schnell ein führender Sänger seiner Zeit
geworden zu sein? Er sagt es bescheiden: "Wenn ich so bekannt geworden
bin, heißt das, dass ich vor allem gelernt habe, besser zu singen,
besser zu spielen."

Doch bringe das ja aber eine ganz besondere Verantwortung mit sich, hake
ich nach. "Eine große Verantwortung", meint Flórez, "habe ich seit
meinem Debüt in Pesaro zu tragen. Danach ging ich gleich an die Scala,
das erste große Opernhaus, wo ich sang, unter Riccardo Muti, zur
Eröffnung der Saison. Und dann kamen nur noch große Häuser, bekannte
Dirigenten, es war schon recht verrückt, zumal ich auch immer wieder
neue Rollen lerne musste. Ich lerne zwar schnell, aber auf Dauer
ermüdete es dennoch. Heute gibt es schon mehr und mehr Wiederholungen
und ich lebe ruhiger. Ich gewöhne mich an das Leben, das von mir soviel
fordert. Ich weiß, dass ich das Beste geben muss, aber meine Karriere
hat sich gefestigt, sie macht weniger Stress. "

In dieser Karriere war in der Tat bereits das Debüt außergewöhnlich:
Flórez war damals 23 Jahre alt. "Ich war als Student in Italien. Ich
sollte in Mailand ein 'Stabat Mater' singen, zusammen mit anderen jungen
Sängern. Und dann sang ich in Bologna vor. Ich sang für, Luigi Ferrari,
den künstlerischen Leiter des Rossini Festivals in Pesaro. Er nahm mich
in die Akademie auf und verpflichtete mich für eine Nebenrolle in
'Ricciardo e Zoriade'. Doch dann suchten die Veranstalter des
Rossini-Festivals plötzlich einen Ersatz für Bruce Ford in 'Matilda di
Shabran'. Ich musste die Rolle binnen weniger Zeit lernen."

Und so gelangte dann der junge Peruaner in einem Sprung sozusagen in die
Welt-Elite. Dabei hatte sich in der Kindheit überhaupt keine
Opernkarriere abgezeichnet: "Mein Vater war ein Pop-Sänger. Ich erlebte
ihn zuhause immer mit der Gitarre. Klassische Musik wurde bei uns keine
gehört. Klassische Musik entdeckte ich erst am Konservatorium. Die Musik
kam gewissermaßen zu mir, nicht ich zu ihr. Ich hatte nicht im
geringsten Musik studieren wollen, um Tenor, um Opernsänger zu werden.
Mit 14 und 15 sang ich in Cafés. Ich erkundete meine Stimme und begann
erst nach und nach Technik zu lernen. Mit 17 begann der richtige
Unterricht. Meine Lehrer machten mich mit der Oper vertraut."

Als Flórez 21 war, nahm er Unterricht bei dem peruanischen Sänger
Ernesto Palacio (neben Luigi Alva einer der bekanntesten peruanischen
Opernsänger). Er ist heute sein Mentor und sein Manager, "und Alfredo
Kraus sowie Pavarotti sind meine Idole!".

Dabei will Flórez vor allem Kraus nacheifern, nicht Pavarotti. "Mein
Repertoire ist zumindest für die nächsten Jahre Rossini, Bellini,
Donizetti. Einiges in der französischen Oper. Vielleicht etwas Mozart,
in der Zukunft, aber nicht zuviel."

Von Verdi singt Flórez heute nur den Fenton im 'Falstaff'. "Ich werde
kaum je viel Verdi singen. Man kann einiges von Verdi zwar mit einer so
leichten Stimme ssingen, aber das Publikum verlangt gewichtigere
Stimmen. Ich sehe allerdings einer Rolle mit Freude entgegen, dem Duca
im 'Rigoletto'."

Die Stimme von Juan Diego Flórez ist ein Juwel: sie blüht selten schön
nicht nur in der Höhe, sondern auch bereits im Passagio, das bruchlos
genommen wird. Aber das sind eher Merkmale, wie der Sänger sagt, und
nicht das Resultat der Arbeit, auf die er viel Wert legt. "Die Arbeit
liegt in der Atemtechnik. Ich musste einmal in Japan sehr früh singen.
Ich konnte das nur mit Atemübungen angehen. Ich musste mit Atemübungen
die Muskeln lösen. Singen ist Atmen und Muskelarbeit. Die ganzen Muskeln
um das Zwerchfell herum, im Lungenbereich, im Hals, all das muss
arbeiten. Schon der Erfolg der Kastraten war vor allem ein Erfolg ihrer
Atemtechnik. Wie sollte ich diese ganzen unmöglich schwierigen
Rossini-Arien mit ihren unmöglich langen Phrasen singen, wenn ich nicht
die Atemtechnik habe, die mir dies erlaubt?"

Und die Seele, von der Carreras sagt, dass man sie zum Singen braucht?
Flórez sagt es so: "Die Technik muss man lernen, die Sensibilität hat
man oder man hat sie nicht. Zur Interpretation gehört beides. Die
Technik ist das Werkzeug, das die Sensibilität zur Entfaltung bringt."

Ein Opernsänger, der, wie Flórez, 60 bis 70 Mal im Jahr auf der Bühne
steht, muss zwangsläufig mit Regisseuren arbeiten, und da kann es
manchmal zu Reibereien kommen. "Ich hatte bis jetzt keine große
Probleme. Ich musste aber auch manchmal diskutieren. Das kommt immer
dann vor, wenn ein Regisseur oder auch ein Dirigent vergisst, dass die
Musik und darin wiederum die Stimme in der Oper die Hauptsache ist.
Regisseure vergessen oft, dass die Oper ein Musikstück ist, das ein
Komponist geschrieben hat und das es nicht verträgt, verstümmelt zu
werden, wie das leider immer wieder geschieht." Ob er unter Umständen
aus einer Produktion aussteigen würde, wollte ich wissen. "Nein,
eigentlich nicht, obwohl ich es manchmal gerne getan hätte, weil ich
Spannungen in einer Produktion nicht vertrage."

Was die Schallplatten-Zukunft von Juan Diego Flórez anbelangt, ist noch
vieles recht vage. Es wird eine CD mit Bellini und Donizetti-Arien
geben, dann eine dritte, noch breiter ausgreifende Arien-CD, aber
Gesamtaufnahmen sind unmittelbar keine vorgesehen. Es gebe Projekte,
meint Flórez, nichts Konkretes.

Erst einmal freut er sich über seine Rossini-CD unter Riccardo Chailly,
die soeben bei Decca veröffentlicht wurde. Und damit verbunden war ja
auch unsere Überraschung: ich durfte Juan Diego Flórez im Anschluss an
das Interview den Excellentia-Preis unserer Zeitschrift überreichen.
Sichtlich erfreut nahm der Sänger das Diplom entgegen, seinen ersten
Schallplattenpreis überhaupt, wie er sagte. Wie ich später hörte, hat
Flórez im Verlaufe des Tages vielen Leuten das Excellentia-Diplom
gezeigt. Und auch das ist charakteristisch für den strebsamen,
intelligenten und sympathischen jungen Sänger. Er kann sich freuen.
Freuen über den Erfolg, der ihn verwöhnt, aber den er letzten Endes nur
sich selbst und seiner harten Arbeit zu verdanken hat.

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This page was last updated on: October 5, 2002