REVIEW La Boheme, Wiesbaden, 5 June 2002 Große Gefühle haben ihren Preis Volker Milch, Wiesbaden Kurier, 7 June 2002 Staatstheater: Roberto Alagna und Angela Gheorghiu wurden in "La Bohème" gefeiert "Tutta forza", mit aller Kraft drückt das Orchester am Schluss von Puccinis "La Bohème" auf die Tränendrüsen, zwei Mal schleudert Roberto Alagna sein herzzerreißendes "Mimì" in den Raum, in dem die aufrichtige Anteilnahme groß ist: Ovationen und ein Blumenregen belohnen das schöne Sterben von Angela Gheorghius Mimì und die tenorale Trauer des Rodolfo von Alagna, im wirklichen Leben ein im Musik-Business höchst vitales Paar, das zwischen den Feierlichkeiten zum Thron-Jubiläum der Queen und einem Weltmeisterschafts-Konzert in Seoul in Wiesbaden Station machte, um Achim Thorwalds letzten Intendanten-Monat mit einem besonderen Gala-Abend zu vergolden. Dabei ist das wirkliche Leben manchmal fast so kitschig wie die Oper: Anno 1995 lernte sich das bald zum Traumpaar avancierende Duo in Wiesbaden in eben jener unverwüstlichen Quetes-Inszenierung des Repertoire-Dauerbrenners "La Bohème" kennen und hat seitdem offenbar sehr zarte Erinnerungen an das Staatstheater. Dass große Gefühle ihren Preis haben, war dem Wiesbadener Publikum dabei nur bedingt zu vermitteln: 250 Euro pro Karte in der obersten Kategorie zahlen sich nicht so leicht, selbst wenn "die Alagnas" auf dem Programm stehen. Indes schien das Publikum mit der Investition mehr als zufrieden zu sein: Immer wieder brandete Zwischenapplaus auf, und nicht nur das "Traumpaar", sondern auch der Bariton Zeljko Lucic wurde gefeiert. In der Tat ein fabelhafter Marcello, gefolgt von Jochen Schmeckenbechers Schaunard, Axel Wagners Colline und Annette Luigs kapriziös-anmutiger Musetta. Als Gastdirigenten hatten sich das Ehepaar den 1959 geborenen Italiener Antonio Pirolli gewünscht, der sich seine Sporen überwiegend in der Türkei verdient hat und jetzt als Generalmusikdirektor von Ankara an die Staatsoper Istanbul wechselte. Der schnelle Parlando-Stil gerade des "Bohème"-Anfangs ist immer gefährlich und forderte auch im Staatsorchester seinen Tribut in Form versprengter Noten. Antonio Pirolli kann sehr energisch werden, wenn ihm das Geschehen zu entgleiten droht, und zeigte sich als Mann mit original italienischem Sinn für große Gefühle, das Melos auf der Bühne mit großer Geste tragend und die Stimmen der illustren Stars ins rechte Rampenlicht rückend. Bei Alagna und Gheorghiu bestätigte sich teilweise der Eindruck von 1995, wobei der Tenor bisweilen einen angestrengteren, in den Höhenflügen der Partie aufgerauten Eindruck hinterlässt. Am Anfang erscheint seine Stimme für die Wiesbadener Verhältnisse fast überdimensioniert, ziemlich brachial auf Spitzenton-Glanz ausgerichtet, gewinnt im Verlauf des Abends aber an Zwischentönen, Schmelz und auch an dynamischen Nuancen. Dagegen fasziniert bei Angela Gheorghiu von Anfang an die unangestrengte Natürlichkeit ihrer Gestaltung, das freie Strömen ihrer großen Stimme. Das Fragile der armen Mimì kann sie zunächst eher im Spiel als im musikalischen Ausdruck vermitteln, bis es im 4. Bild, dolcissimo, sanft ans schöne Sterben geht. |
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